Ein alter Wunsch ist die Sichtung des stengellosen Mannschild, welcher in der Schweiz nur an der Cima di Cugn wächst. Vor zwei Jahren versuchten wir schon einmal das Blümchen zu finden, doch wir waren zeitlich zu spät, die Blume blüht nur kurze Zeit. Also versuchten wir unser Glück nochmals dieses Jahr. Die Cima di Cugn befindet sich am Passo San Jorio an der Grenze zu Italien, ganz hinten im abenteuerlichen Val Morobbia. Endstation des Postautos ist Carena, 958 M.ü.M., der Pass San Jorio liegt auf 2012 M.ü.M., der Gipfel selbst hat eine Höhe von 2194 M.ü.M. Dieses Mal wollten wir die Tour an einem Tag durchziehen, also hatten wir über 1000 Höhenmeter in ca. 3,5 Stunden zu bewältigen, nicht schlecht für zwei ältere Knacker über 70 Jahre.
Kurz nach 7h morgens kamen wir in Carena an, es war noch kühl. Beim letzten Versuch stiegen wir von Carena zur Capanna Gesero über einen steilen Weg hoch, welchen wir noch in bester Erinnerung hatten. Damals verbrachten wir eine Nacht in der Capanna Gesero. Diesmal wollten wir dem Talweg Richtung Passhöhe folgen, das tiefe Tal verläuft so ziemlich genau zwischen der eurasischen und afrikanischen Kontinentalplatten. Überall floss Wasser von den Hängen, es war ein feuchter Weg. Unterwegs sah ich sehr schönen Strausssteinbrecht blühen, ich wollte ihn auf dem Rückweg dann fotogafieren, da Nachmittags das Licht besser war im Talgrund. Nach einer kurzen Strecke befestigter Strasse, welche zu einer abgelegenen Alp führte, begann der abenteuerliche Weg Richtung San Jorio. Erst dem Talgrund entlang begann dann die Steigung in einem bewaldeten Gebiet. Bei Giggio, nahe der Baumgrenze gibt es die ersten Wiesen, welche aber vermutlich nicht mehr landwirtschaftlich benutzt werden. Oberhalb Giggio machten wir eine kurze Rast und begegneten einem Biker, welcher sich nach der Route zur Alpe di Giumello erkundigte. Nein, den Weg, welchen wir aus dem Tal hochgestiegen sind, ist beim besten Willen nicht fahrbar, auch wenn ich schon Biker auf den unmöglichsten Strecken gesehen habe. Jedoch das letzte Teilstück zum Pass war angenehm zu gehen, obwohl schon recht sonnig und warm.

Auf der Passhöhe (2012 M.ü.M.) verläuft die Grenze zu Italien. Wenige Meter unterhalb des Passes liegt eine italienische Hütte, im Vergleich zu den Schweizer Cabannas schon eher ein Hotel. Die Italiener waren auch eifrig mit Bauarbeiten an einem Hang beschäftigt, die Strasse zur Hütte war problemlos mit Autos befahrbar, jedoch nur einspurig. Es gab einige italienische Touristen, zum Teil mit Hund, welche auf einfacheren Routen aus Italien hochgewandert sind. Da mein Begleiter Peter etwas Knieprobleme hat, diskutierten wir ob wir noch zum Gipfel gehen sollen oder ob wir ev. auf dem uns bekannten Höhenweg zur Capanna Gesero gehen möchten, um von dort über den uns bekannten und trockneren Abstieg nach Carena abzusteigen. Vom Pass führt ein Weg mit einfachen Kletterstellen in brüchigen Gestein über einen kleinen Grat zur Gipfelkuppe, noch knapp 200 Höhenmeter. Vom Gipfel führt dann ein einfacherer Weg mit weniger Gefälle zum Höhenweg Richtung Gesero. Also beschlossen wir zum Gipfel hochzusteigen, hatten wir doch das Blümchen noch nicht gesehen. Doch ich schaffte nicht mehr ganz die Hälfte der Höhe, ich hatte mich im Aufstieg zu wenig verpflegt und bekam einen Hungerast. Das Schwindelgefühl signalisierte mir deutlich dass ich fehl am Berg war, also beschloss ich wieder über den Grat Richtung Pass abzusteigen. Peter befand sich etwa 10 Meter oberhalb meiner Position schon in Nähe der breiteren Gipfelkuppe und beschloss über den Gipfel den Höhenweg zu erreichen. Wohl sahen wir ein Blümchen, welches wir zu Beginn als stengelloser Mannsschild betrachteten, doch es war der gestreifte Seidelbast.

Ich ging nun den nicht gesicherten Höhenweg Richtung Capanna Gesero und wurde von zwei jüngeren Italienerinnen ein- und überholt, welche uns beide beim Aufstieg beobachtet hatten und sich nun wunderten, wo der zweite Mann geblieben sei. Der Höhenweg ist auch nicht für jedermann gedacht, an einigen Stellen muss man die Hände kurz aus dem Hosensack nehmen. Bei der Weggabelung traf ich auch wieder auf Peter und gemeinsam gingen wir zur Capanna Gesero, wo wir eine Tagessuppe bestellten. Gleichzeitig trank ich Cola Zero, also ohne Zucker, wohl gesünder, aber für mich leider nicht wirkungsvoll. Von der Capanna wanderten wir den Weg an der Abbruchkante zum Tal entlang, bis ein Bergweg durch den Wald Richtung Carena führte. Nochmals ein Abstieg von gut 1000 Höhenmeter, ich wurde immer langsamer. Immerhin gab es unterwegs eine Wasserfassung, wo ich meine Getränkeflasche wieder nachfüllen konnte. In Carena mussten wir noch 45 Minuten auf das nächste Postauto warten, das einzige Restaurant vor Ort hatte geschlossen. Geplant war eine Wanderung von 7 Stunden, gebraucht hatten wir gute 9 Stunden.